Ich, weiblich, Gott. Der Vergleich Ps 131,2cd und seine Implikationen hinsichtlich des Gottes- und Selbstbildes der Beterin
Schlagworte:
Female psalmist, Invisibilisation of women, Queer-feminist interpretation of the Bible, Female characteristics of God, Image of GodAbstract
Auf die Lesung des MT „wie ein Säugling bei mir“ (Ps 131,2d) stützt sich die Annahme, Ps 131* sei aus der Perspektive einer Frau verfasst. Dieser Umstand wurde durch Kontextualisierung, Änderung der Konsonanten oder der Satzeinteilung von der Redaktion des Psalters (Zuschreibung an David) bis zu den meisten Kommentaren und modernen Übersetzungen getilgt und so das weibliche Subjekt unterschlagen (Ausnahme: Zenger!).
Der Vergleich des Beziehungsgefüges „Säugling – Mutter“ mit „Seele – Jhwh“ wird in der Forschung unter dem Stichwort „Weibliche Eigenschaften Gottes“ breit rezipiert (dazu z. B. Jes 66,13), aus (queer‑)feministischer Perspektive erscheint er jedoch ambivalent. Positiv: Durch die Zuschreibung weiblich konnotierter Eigenschaften an Gott wird ein einseitig männliches Gottesbild aufgebrochen. Negativ: Bei der Verknüpfung von Säugling und Mutter handelt es sich um einen weiblichen Stereotyp, der auf diese Weise fortgeschrieben wird.
Nicht beachtet wird dabei, dass der Vergleich ebenfalls Aussagen über das Selbst‑ bzw. Frauenbild der Beterin enthält. Einerseits versteht sie sich als (männlicher) Säugling und eignet sich dadurch eine männlich geprägte Form der Gottesbeziehung an. Andererseits beschreibt sie ihre Rolle gegenüber dem Säugling als göttliche Fürsorge, vergleicht sich selbst mit Jhwh und beschreibt so eine weibliche Version von Gottebenbildlichkeit (vgl. Gen 1,26; Ps 8). Diese verdient gerade wegen der fatalen männlich-enggeführten neutestamentlichen Wirkungsgeschichte von Gottebenbildlichkeit (1 Kor 11,7) Beachtung.